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Auszug
aus dem Roman
Zeitströme
von
Elvira Schütze
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Viele kleine,
nackte Kinderfüße liefen über den warmen,
sonnenbeschienenen Steinfußboden die Treppen hinauf in
die große Stube, die als Klassenzimmer diente. Es war ein
schöner, klarer Frühlingstag. Fenster und Türen standen
offen, um die Wärme in das kleine Haus hineinzulassen,
welches man das Predigerwitwen Haus nannte.
Es war wieder ein langer, kalter Winter gewesen, 1780-81.
Um so mehr genoß man jetzt die Wärme der Frühlingssonne.
Und mit ihren Strahlen sollte sie auch den letzten Rest
der Kälte und Feuchtigkeit des Winters aus dem Hause
vertreiben. Der junge Vikar kam eilenden Schrittes vom
Pastorat herbeigelaufen, um den Unterricht abzuhalten. Als
er die Treppe hinauf stieg, hörte er schon die Kinder
lachen und reden. Als er aber die Stube betrat waren sie
sofort mäuschenstill. Mit wichtiger Miene öffnete er mit
einem Schlüssel, den er immer bei sich trug, die Tür
eines Wandschränkchen, in dem die Tafeln und Bücher
aufbewahrt wurden. In dem großen Garten hinter dem Haus
war die noch gar nicht so alte Predigerwitwe bei der
Arbeit. Aus dem geöffneten Fenster hörte sie die Kinder
singen und Verse aufsagen. Sie lebte nun schon fast ein
Jahr in dem kleinen Haus. Nachdem ihr Mann, der Pastor,
gestorben war, musste sie das schöne Pastorat für den
Nachfolger und seine Familie freimachen. Mit ihrer
Kinderschar hatte sie kaum Platz in dem kleinen Haus und
zum Leben reicht die |
knappe Rente vorne und hinten nicht.
Darum war sie froh, einen Garten zu haben, dazu noch etwas
Viehzeug, um über die Runden zu kommen. Dann hielt sie
noch die Sachen des Vikars in Ordnung und bekam dafür
auch noch einige Kreuzer. Es wurde höchste Zeit, dass im
Garten etwas wuchs, denn das tägliche Essen wurde immer
eintöniger. In der Vorratskammer hingen noch ein paar
getrocknete Apfelringe und im Keller zwischen Sand und
Stroh gab es noch einige Wurzeln und Rüben. Die beiden
großen Buben, zwölf und dreizehn Jahre alt, konnten
schon für ein paar Stunden am Tage bei einem Bauern
helfen, wenn es dort genug zu tun gab. Dafür bekamen sie
wenigsten eine gute Mahlzeit. Den größten Teil des
Gartens benötigte Anke Kruse, so hieß die Witwe, für
Gemüse und ein paar Rüben, nur eine kleine Ecke blieb für
Blumen und Kräuter. Auf dem Hof in einer schattigen Ecke
stand ein Korb, in dem ihre jüngste Tochter, die kleine
Wiebke lag. Sie war kurz nach dem Tode ihres Vater geboren
worden und sehr schwächlich. Sieben Mäuler musste Anke
Kruse stopfen und manchmal haderte sie sehr mit ihrem
Schicksal. Aber es half nichts, sie musste sich fügen.
Inzwischen war der Unterricht zu Ende. Die Kinder waren
froh darüber, tobten die Treppe hinunter und nach Hause.
Die beiden Töchter der Witwe, 10 und 11 Jahre alt, kamen
zu ihr in den Garten. Die Arbeit wurde unterbrochen, denn
die Kräuterleni bog um die Hausecke um nach Wiebke zu
sehen, die den ganzen Winter über gehustet hatte. Die
kleine, ältere Frau lebte in einer Kate unten an der Aue.
Sie versorgte die Einwohner des Dorfes mit Kräutern, die
sie vom Frühjahr bis zum Winter in den Wäldern und
Wiesen der Umgebung zusammengesucht hatte. Auch die Bauern
baten gerne um ihren Rat, wenn das Vieh krank wurde. Jeder
hatte großen Respekt vor ihr und keiner wollte sich mit
ihr erzürnen. Hinter vorgehaltener Hand wurde vieles über
sie erzählt; das sie eine Engelmacherin sei und sogar von
Hexerei war die Rede...© 1999 Copyright by E. Schütze,
Selbstverlag, Barmstedt/Holst.
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